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Liegt bei gezielter Herbeiführung von Veräußerungsverlusten ein Gestaltungsmissbrauch vor?

Die gezielte Herbeiführung eines Verlustes durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgeldes seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne Weiteres rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 42 AO.

Hintergrund

Die Kläger sind Ehegatten. Die Klägerin gründete im November 2015 als Alleingesellschafterin die A GmbH. Deren Geschäftsgegenstand ist der Erwerb und die Verwaltung von Immobilien. Das Stammkapital betrug zunächst 25.000 EUR. Es war eingeteilt in 25.000 Geschäftsanteile im Nennbetrag von jeweils 1 EUR (Nr. 1 bis 25.000).

Mitte Dezember 2015 beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH eine Kapitalerhöhung um 1.000 EUR. Hierzu schuf sie einen weiteren Geschäftsanteil im Nennbetrag von 1.000 EUR (Nr. 25.001). Auch diesen Geschäftsanteil übernahm die Klägerin. Beschlussgemäß zahlte sie hierfür neben dem Nennbetrag ein Aufgeld von 500.000 EUR in die freie Kapitalrücklage der GmbH.

Am 28.12.2015 veräußerte die Klägerin 300 Geschäftsanteile im Nennwert von je 1 EUR (Nr. 24.701 bis 25.000) sowie den neuen Geschäftsanteil Nr. 25.001 zum Kaufpreis von 26.300 EUR an den Kläger, der fortan zu 5 % am Kapital der GmbH beteiligt war.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2015 erklärte die Klägerin aus der Veräußerung der GmbH-Geschäftsanteile einen gem. § 17 EStG zu berücksichtigenden Verlust von 475.000 EUR (Veräußerungspreis 26.300 EUR ./. Anschaffungskosten Geschäftsanteile Nr. 24.701 bis 25.000 = 300 EUR ./. Anschaffungskosten Geschäftsanteil Nr. 25.001 = 1.000 EUR ./. Aufgeld für Geschäftsanteil Nr. 25.001 = 500.000 EUR), was zu einem Ansatz nach dem Teileinkünfteverfahren von 285.000 EUR (= 60 % von 475.000 EUR) führte.

Das Finanzamt erkannte den aus der Veräußerung des neu geschaffenen Geschäftsanteils Nr. 25.001 herrührenden Verlust nicht an. In Anbetracht der hohen Anschaffungskosten (1.000 EUR Nennwert zuzüglich 500.000 EUR Aufgeld) habe es der Klägerin insoweit an einer Gewinnerzielungsabsicht gefehlt. Aus der Veräußerung der Anteile der Nr. 24.701 bis 25.000 ermittelte das Finanzamt dagegen einen nach § 17 EStG zu besteuernden Gewinn.

Das FG gab der Klage statt. Die Klägerin habe die Geschäftsanteile mit Gewinnerzielungsabsicht veräußert. Insoweit dürfe nicht auf den einzelnen, sondern müsse auf alle veräußerten Anteile abgestellt werden.

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu führte der BFH u. a. aus:

Die Entscheidung des FG, hinsichtlich sämtlicher veräußerter Geschäftsanteile von einer Gewinnerzielungsabsicht auszugehen, ist nicht zu beanstanden. Die Gewinnerzielungsabsicht muss sich auf die gesamte Beteiligung an der Kapitalgesellschaft beziehen. Eine Einzelbetrachtung jedes veräußerten Geschäftsanteils ist – wie das FG zutreffend entschieden hat – ausgeschlossen. Von einer Gewinnerzielungsabsicht geht die höchstrichterliche Rechtsprechung bei den Einkünften aus § 17 EStG im Regelfall aus, selbst wenn die Beteiligung nur kurze Zeit gehalten wurde.

Vom erzielten Veräußerungspreis (26.300 EUR) sind nach der Gewinnermittlungsformel des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG die Anschaffungskosten für die veräußerten Geschäftsanteile abzuziehen. Der Gewinn bzw. Verlust aus der Veräußerung von Geschäftsanteilen an einer Kapitalgesellschaft ist sowohl hinsichtlich des Veräußerungspreises als auch der Anschaffungskosten anteilsbezogen zu bestimmen. Gerade wegen der zivilrechtlichen Selbstständigkeit jedes Geschäftsanteils ist das Aufgeld nur demjenigen Anteil als Anschaffungskosten zuzurechnen, für deren Erwerb es aufzubringen war. Dies gilt selbst dann, wenn die Summe aus dem Nennbetrag des neuen Anteils und des Aufgelds den Verkehrswert des neuen Anteils übersteigt, sog. Überpari-Emission. Das gilt jedenfalls für Veräußerungen bis zum 31.7.2019.

Im Zusammenhang mit Einkünften aus § 17 EStG steht es einem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Die Zahlung eines Aufgeldes für den Erwerb des neu geschaffenen Geschäftsanteils Nr. 25.001 sowie dessen kurzfristig spätere verlustauslösende Veräußerung an den Kläger ist nicht als Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu werten. Es unterliegt der Disposition des Steuerpflichtigen, Veräußerungsgeschäfte so zu gestalten, dass er sich steuerlich möglichst günstig steht.

Darüber hinaus ist geklärt, dass der Steuerpflichtige selbst entscheiden kann, welchen Geschäftsanteil seiner Beteiligung er veräußert. Dies gilt unabhängig davon, ob die Veräußerung an einen fremden Dritten oder an einen nahen Angehörigen erfolgt.