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Grundsteuer: Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts ab 1.1.2025 möglich?

Nachdem der BFH in 2 inhaltsgleichen AdV-Beschlüssen zur neuen Grundsteuer im sog. Bundesmodell entschieden hatte, dass Steuerpflichtige im Einzelfall die Möglichkeit haben müssen, einen niedrigeren gemeinen Wert ihres Grundstücks nachzuweisen, hat die Finanzverwaltung nun mit koordinierten Ländererlassen reagiert.

BFH-Beschlüsse zur neuen Grundsteuer im Bundesmodell

Der BFH hat sich erstmals mit der „neuen“ Grundsteuer auseinandergesetzt. Die beiden Fälle kamen deshalb zum BFH, weil das FG Rheinland-Pfalz ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertfeststellung im sog. Bundesmodel geäußert und die Beschwerde u. a. wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hatte.

In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim FG Rheinland-Pfalz erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen.

Die angefochtenen Bescheide waren auf der Grundlage der Neuregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts ergangen (sog. Bundesmodell), das in mehreren Bundesländern Anwendung findet. Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab dem 1.1.2025 i. d. R. von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1.1.2025 als einheitlichen Hauptfeststellungsstichtag ermittelt.

Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften enthalten eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen.

Das FG hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung.

Der BFH hat die Beschwerden der Finanzverwaltung gegen die Beschlüsse des FG Rheinland-Pfalz als unbegründet zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Diese Zweifel ergäben sich daraus, dass den Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, auch wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe.

Der Gesetzgeber verfüge gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot könne jedoch verletzt sein, wenn sich der festgestellte Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweise. Dies setze nach der bisherigen Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteige.

In beiden Streitfällen kam der BFH zu dem Ergebnis, es sei bei summarischer Prüfung nicht auszuschließen, dass die Antragsteller jeweils aufgrund einzelfallbezogener Besonderheiten den erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ihrer Grundstücke mit der erforderlichen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwerten führen könnten.

Da bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war vom BFH nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln bezüglich der zugrundeliegenden Bewertungsregeln unterliegt.

Wichtig: Bei den Beschlüssen des BFH handelt es sich nur um Entscheidungen im Aussetzungsverfahren. Die Hauptsacheverfahren hinsichtlich verfassungsmäßiger Bedenken sind weiterhin vor dem FG Rheinland-Pfalz anhängig. Es bleibt abzuwarten, ob das FG Rheinland-Pfalz in einem Hauptsacheverfahren dem BVerfG die Frage nach der Verfassungswidrigkeit der neuen Grundsteuer vorlegen wird.

Sollte das BVerfG entscheiden müssen, besteht theoretisch die Möglichkeit, dass es die neue Grundsteuer für nichtig erklärt. Dann müsste von Beginn an eine Neuregelung getroffen werden. Einer solchen Entscheidung stehen bei realistischer Betrachtung sowohl volkswirtschaftliche als auch politische Gründe entgegen. Das Gericht könnte daher – wie in der Vergangenheit bei Steuergesetzen häufig – auch nur die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen und festlegen, ab wann die Regelungen nicht mehr angewendet werden dürfen (sog. „pro-futuro-Rechtsprechung“).

Verwaltung folgt Auffassung des BFH

Die obersten Finanzbehörden der Länder haben die Beschlüsse des BFH zum Anlass genommen, sog. koordinierte Ländererlasse herauszugeben. Sie weisen die Finanzämter in diesen Erlassen an, wie mit diesen Beschlüssen in der Praxis umzugehen ist.

Der BFH hat sich in seinen Beschlüssen ausschließlich mit der Grundsteuer im Bundesmodell befasst. Die Weisungen sind dementsprechend nur von den Ländern herausgegeben, in denen bei der Grundsteuer das Bundesmodell anzuwenden ist. Dies bedeutet, dass die koordinierten Länderlasse vom 24.6.2024 keine Weisungen für die Finanzämter in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Hamburg darstellen.

Die koordinierten Ländererlasse enthalten zum Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts bei der Bewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer ab 1.1.2025 die nachfolgenden Regelungen:

Zur verfassungskonformen Anwendung der Bewertungsvorschriften zur Feststellung von Grundsteuerwerten ist ein für die gesamte wirtschaftliche Einheit nachgewiesener niedrigerer gemeiner Wert anzusetzen, wenn der ermittelte Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt um mindestens 40 % übersteigt.

Den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast für einen niedrigeren gemeinen Wert und nicht eine bloße Darlegungslast. Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann

  • regelmäßig ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder von Personen, die von einer staatlichen, staatlich anerkannten oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken bestellt oder zertifiziert worden sind, dienen;
  • darüber hinaus ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt zustande gekommener Kaufpreis über den zu bewertenden Grundbesitz dienen, wenn die maßgeblichen Verhältnisse der wirtschaftlichen Einheit gegenüber den Verhältnissen am Hauptfeststellungszeitpunkt unverändert sind.

Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts von erbbaurechtsbelasteten Grundstücken gelten die obigen Grundsätze entsprechend.

Anwendung der Erlasse und Vorgehen bei Bestandskraft von Bescheiden

Die o. g. Regelungen sind in allen noch offenen Fällen anzuwenden.

In Fällen, in denen

  • der Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert um mindestens 40 % übersteigt,
  • der Grundsteuerwert bereits bestandskräftig festgestellt wurde und
  • die Feststellung nicht mehr nach den Korrekturvorschriften der AO änderbar ist,

ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung vorliegen. Bei Durchführung der fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung ist die Wertfortschreibungsgrenze zu beachten. Danach wird der Grundsteuerwert neu festgestellt (Wertfortschreibung), wenn der in EUR ermittelte und auf volle 100 EUR abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, von dem entsprechenden Wert des letzten Feststellungszeitpunkts nach oben oder unten um mehr als 15.000 EUR abweicht.

Aussetzung der Vollziehung von Bescheiden über die Feststellung des Grundsteuerwerts

Im Hinblick auf die Beschlüsse des BFH ist ab sofort Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung von Bescheiden über die Feststellung des Grundsteuerwerts zu entsprechen, wenn und soweit schlüssig dargelegt wird, dass der Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 % übersteigt.

Bei der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist – anders als in einem Einspruchsverfahren – die Vorlage eines Verkehrswertgutachtens noch nicht erforderlich. Substantiierten Angaben des Steuerpflichtigen zur Höhe des Verkehrswerts ist zu folgen. Es bestehen keine Bedenken, als Ergebnis der summarischen Prüfung vorbehaltlich anderweitiger Erkenntnisse 50 % des Grundsteuerwerts von der Vollziehung auszusetzen. Die Aussetzung der Vollziehung soll angemessen befristet und der Steuerpflichtige zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts (z. B. durch Vorlage eines Gutachtens) innerhalb dieser Frist aufgefordert werden.