Wie wirkt sich ein Verlustrücktrag auf den Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr aus?
Negative Einkünfte sind, soweit sie nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen worden sind, zeitlich nicht mehr dem Entstehungsjahr zuzuordnen. Sie bilden demzufolge auch nicht mehr die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Verlustentstehungsjahr.
Hintergrund
Die Klägerin erzielte im Jahr 2015 negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung sowie positive Einkünfte aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte. Der Gesamtbetrag der Einkünfte belief sich auf – 48.322 EUR. Zudem ergab sich ein Kirchensteuerüberhang von 61.109 EUR.
Das Finanzamt zog die nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in voller Höhe im Rücktragsjahr 2014 ab und rechnete den Kirchensteuerüberhang von 61.109 EUR dem – rechnerisch nach dem Verlustrücktrag 0 EUR betragenen – Gesamtbetrag der Einkünfte zu.
Das FG gab der nach der erfolglosen Durchführung des Einspruchsverfahrens erhobenen Klage statt. Der Erstattungsüberhang sei nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen. Dieser sei negativ gewesen. § 10d Abs. 1 EStG treffe keine Aussage, welche Auswirkungen ein Verlustrücktrag auf das Entstehungsjahr habe. Vor diesem Hintergrund habe die vom Finanzamt vorgenommene Neutralisierung des negativen Gesamtbetrags der Einkünfte im Entstehungsjahr keine Rechtsgrundlage. Im Übrigen habe der BFH selbst ausgeführt, dass ein Erstattungsüberhang keine Einkommensteuer auslöse, wenn ein hoher negativer Gesamtbetrag der Einkünfte vorliege. Dieser Fall könne aber nicht vorkommen, wenn ein zurückgetragener negativer Gesamtbetrag im Entstehungsjahr neutralisiert werden müsste.
Entscheidung
Der BFH hat entschieden, dass das FG rechtsfehlerhaft erkannt habe, dass die nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragenen negativen Einkünfte im Entstehungsjahr einen Hinzurechnungsbetrag gem. § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG (Erstattungsüberhang) ausgleichen würde.
Der BFH führt hierzu aus, dass § 10d Abs. 1 EStG nicht ausdrücklich regele, welche Auswirkungen der Verlustrücktrag im Entstehungsjahr habe. Die Frage sei weder gerichtlich entschieden noch werde sie im Schrifttum erörtert.
Sei der Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr vor dem Verlustrücktrag negativ, wirke es sich (grundsätzlich) auf die Ermittlung des Einkommens und die Höhe der festzusetzenden Steuer nicht aus, ob er nach dem Verlustrücktrag um den zurückgetragenen Betrag und ggf. bis auf 0 EUR erhöht werde. Anders sei dies, wenn, wie im Streitfall, ein Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG (Erstattungsüberhang) das Einkommen erhöhe. Dann stelle sich die Frage, ob der negative Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr ungeachtet des Verlustrücktrags weiterhin die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr bilde und den Hinzurechnungsbetrag, der sich steuererhöhend auswirke, mindere. Diese Frage sei zu verneinen.
Negative Einkünfte seien, soweit sie nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen worden seien, zeitlich nicht mehr dem Entstehungsjahr zuzuordnen und bildeten demzufolge auch nicht (mehr) die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr. Für den Gesamtbetrag der Einkünfte der Einkünfte im Entstehungsjahr bedeute dies, dass er nach Durchführung des Verlustrücktrags um den Betrag der zurückgetragenen Einkünfte zu erhöhen sei. Seien die im Entstehungsjahr nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in voller Höhe zurückgetragen worden, betrage der Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr nach der Durchführung des Verlustrücktrags 0 EUR.
Das sei die Folge der materiell-rechtlichen Konzeption des § 10d Abs. 1 EStG und der Grundregeln der periodengerechten Einkommensermittlung. Die in zeitlicher Hinsicht ursprünglich dem Entstehungsjahr zuzuordnenden Einkünfte würden unter den Voraussetzungen des § 10d Abs. 1 EStG dem Rücktragsjahr zugeordnet und dort berücksichtigt.
Das bedeute, dass sie im Rücktragsjahr eine Ausgangsgröße (Besteuerungsgrundlage) für die Ermittlung des im Rücktragsjahr wirksam werdenden Verlustabzugs bildeten. Dadurch werde eine vom Grundfall abweichende, eindeutige zeitliche Zuordnung bewirkt, die es wie die ursprüngliche zeitliche Zuordnung ausschließe, dass die betroffenen Besteuerungsgrundlagen zugleich in einem anderen Besteuerungsabschnitt berücksichtigt würden. Denn die zugrunde liegende Annahme, dass ein besteuerungsrelevanter Sachverhalt bei der Ermittlung des Einkommens nur einmal, d. h. in einer bestimmten Periode, und nicht zugleich in einer anderen Periode berücksichtigt werden könne, werde durch die von § 10d Abs. 1 EStG materiell-rechtlich geänderte zeitliche Zuordnung nicht infrage gestellt, sondern bestätigt. Die eindeutige zeitliche Zuordnung aller Besteuerungsgrundlagen ermögliche es nicht nur, das Einkommen periodengerecht zu ermitteln; sie bezwecke zugleich, Doppel- und Mehrfachberücksichtigungen auszuschließen. Dies sei notwendig, um den relevanten Zuwachs an finanzieller Leistungsfähigkeit gleichmäßig und sachgerecht ermitteln zu können.