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Vorliegen einer Organschaft auch bei Mehrheitsbeteiligung ohne Stimmrechtsmehrheit

Eine finanzielle Eingliederung liegt auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt (Änderung der Rechtsprechung).

Hintergrund

Gesellschafter der B-GmbH waren A zu 51 % und C (ein eingetragener Verein) zu 49 %. Alleiniger Geschäftsführer der B-GmbH war Herr E, der zugleich Alleingeschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand des C war. Nach dem (für das Streitjahr geltenden) Gesellschaftsvertrag der B-GmbH standen beiden Gesellschaftern (A und C) in der Gesellschafterversammlung jeweils 7 Stimmen zu, d. h. es bestand zwar eine Mehrheitsbeteiligung der A (51 %), aber mit nur 50 % der Stimmrechte keine Stimmrechtsmehrheit.

Das Finanzamt war der Auffassung, im Streitjahr habe zwischen A und der B-GmbH wegen fehlender finanzieller Eingliederung der B-GmbH in das Unternehmen der A keine Organschaft bestanden. A sei zwar mit 51 % mehrheitlich am Gesellschaftskapital der B-GmbH beteiligt gewesen, habe aber mit nur 50 % Stimmrechtsanteil bei der B-GmbH keine Beschlüsse durchsetzen können. Die von der B-GmbH ausgeführten Umsätze gegenüber Dritten und ihre Leistungen gegenüber A seien damit bei der B-GmbH als Unternehmerin zu erfassen und ihr sei der Vorsteuerabzug zu gewähren.

Das FG widersprach dem Finanzamt und gab der Klage mit der Begründung statt, das vom Finanzamt – über die Mehrheitsbeteiligung hinausgehende – Erfordernis einer Stimmrechtsmehrheit werde für die Anerkennung einer Organschaft nicht vorausgesetzt.

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Auffassung des FG. Die Revision des Finanzamts wurde zurückgewiesen. Da es sich bei der B-GmbH um eine Organgesellschaft i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG handelt, hat nicht sie, sondern ihr Organträger (A) die von ihr ausgeführten Umsätze zu versteuern.

Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft ist unionsrechtskonform. Unionsrechtlich kann der nationale Gesetzgeber den Organträger zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, bestimmen, wenn der Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und wenn diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt.

Diese beiden Voraussetzungen erfüllt das nationale Recht. Denn zum einen setzt § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG voraus, dass der Organträger seinen Willen durchsetzen kann. Zum anderen kommt es wegen der Haftung der Organgesellschaften für die Steuern des Organträgers nach § 73 AO nicht zur Gefahr von Steuerverlusten.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH muss der Organträger für eine finanzielle Eingliederung i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG über die Mehrheit der Stimmrechte verfügen, sofern keine höhere qualifizierte Mehrheit für Beschlüsse in der Organgesellschaft erforderlich ist. Eine Sperrminorität (von z. B. 50 % der Stimmrechte) reicht danach nicht aus. Weicht die kapitalmäßige Beteiligung von den Stimmrechten ab (z. B. aufgrund "stimmrechtsloser Geschäftsanteile"), ist auf das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Stimmrechte abzustellen.

Aufgrund der mit dem vorliegenden Urteil nunmehr geänderten Rechtsprechung liegt eine finanzielle Eingliederung aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt. Damit wird die schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen. Aufgrund des Weisungsrechts, das der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung zusteht und das nach Stimmrechten auszuüben ist, wird im Grundsatz an der bisherigen BFH-Rechtsprechung festgehalten.

Gleichwohl erscheint es gerechtfertigt, eine Mehrheitsbeteiligung trotz Stimmrechten von nur 50 % als lediglich schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung anzusehen, wenn sie (wie im Streitfall) durch eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen von Mehrheitsgesellschafter und GmbH und damit durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen wird. Dann kann der Organträger seinen Willen bei der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und mit Hilfe seiner Stimmrechte i. H. v. 50 % eine abweichende Weisung durch die Gesellschafterversammlung verhindern, so dass es ihm auch möglich ist, die Umsätze der Organgesellschaft ordnungsgemäß zu versteuern und den sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Organgesellschaft ergebenden sonstigen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Im Streitfall ermöglicht die Mehrheitsbeteiligung der A an der B-GmbH die rechtssichere Bestimmung der A als Organträgerin, da C als Minderheitsgesellschafter von der Stellung als Organträger ausgeschlossen ist. Die für das Vorliegen einer Organschaft erforderliche Möglichkeit der A, bei der B-GmbH ihren Willen durchzusetzen, ergibt sich aus der Identität des Alleingeschäftsführers der A und der B-GmbH, die zu einer stark ausgeprägten organisatorischen Eingliederung der B-GmbH führt.