Operative Fettabsaugung (Liposuktion): Aufwendungen können abziehbar sein
Aufwendungen für eine Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems können auch ohne vorherige Vorlage eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Hintergrund
A litt seit Jahren an einem Lipödem (krankhafte Fettverteilungsstörung). In 2016 bescheinigte ihr eine privatärztliche Praxis, die Erkrankung könne weder durch Ernährung oder Sport noch durch eine Entstauungstherapie positiv beeinflusst werden. Zur Verhinderung der Chronizität werde eine Lymphologische Liposculptur empfohlen.
In 2017 wurden bei A daraufhin 3 Liposuktionsbehandlungen durchgeführt. Die Krankenkasse übernahm die Operationskosten nicht, da der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen (GBA) trotz jahrelanger Prüfung noch keine entsprechende Kostenübernahmeempfehlung ausgesprochen hatte.
Das Finanzamt lehnte die Anerkennung der Aufwendungen der A als außergewöhnliche Belastung ab. Es handele sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode. A habe nicht ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vorgelegt.
Dem widersprach das FG und gab der Klage statt. Die Auffassung in der bisherigen Rechtsprechung, die Liposuktion sei eine "wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode", sei auf das Streitjahr 2017 nicht übertragbar, da sich der Stand der Wissenschaft gewandelt habe.
Entscheidung
Der BFH bestätigt die Auffassung des FG. Die Revision des Finanzamts wurde zurückgewiesen. Die Liposuktion ist keine "wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode" i. S. v. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. F EStDV. Ein formalisierter Nachweis durch ein ärztliches Gutachten oder eine Bescheinigung eines MDK ist daher nicht erforderlich.
Wissenschaftlich nicht anerkannt ist eine (Behandlungs-)Methode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entsprechen. Anders ist es jedoch, wenn ein tragfähiger medizinisch-wissenschaftlicher Konsens der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) darüber besteht, dass die vorgesehene Behandlung den evidenzbasierten Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums (z. B. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer, Leitlinien führender medizinischer Gesellschaften) entspricht.
Ob eine neue Behandlungsmethode zum "Leistungskatalog" der gesetzlichen Krankenkassen zählt, ist für die Beurteilung, ob es sich um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handelt, nicht entscheidend.
Denn der Katalog umfasst nur Leistungen, die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung erforderlich sind. Demgegenüber sind alle Aufwendungen im Krankheitsfall, wenn die Maßnahmen medizinisch indiziert sind, typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EstG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach Bedarf.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die fehlende wissenschaftliche Anerkennung i. S. d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Denn das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert ist und die angefallenen Aufwendungen daher zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind.
Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich nicht anerkannt anzusehen ist, hat das FG aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen. Hierbei kann es sich u. a. auf allgemein zugängliche Fachgutachten stützen. Hiervon ausgehend handelt es sich jedenfalls seit 2016 bei der Liposuktion nicht (mehr) um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode. Denn die Liposuktion entspricht der entsprechenden Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. Zudem hat das FG herausgearbeitet, dass die Bundesärztekammer und fast sämtliche medizinischen Fachgesellschaften, die mit der Erkrankung befasst sind, in 2015/2016 die Auffassung vertreten haben, bei einem Lipödem habe eine Liposuktion in den meisten Fällen symptomlindernde Wirkungen.