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Ersatzzustellung setzt Übergabeversuch voraus – auch bei einer Pandemie

Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten setzt auch während der Covid-19-Pandemie voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten unternommen wurde.

Hintergrund

Das mit der Revision angefochtene Finanzgerichtsurteil wurde am 19.6.2021 (Samstag) mittels Zustellungsurkunde in den Briefkasten der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten (Steuerberater-GmbH) eingelegt. Der Zusteller hatte auf dem Briefumschlag als Zustellungsdatum den 19.6.2021 vermerkt und durch Ankreuzen angegeben, dass die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung bzw. in dem Geschäftsraum nicht möglich war und er das Schriftstück in den zur Wohnung bzw. zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt habe. Unter Zugrundelegung des 19.6.2021 als Zustellungsdatum lief die 1-monatige Revisionseinlegungsfrist am 19.7.2021 ab.

Die Revision der Kläger ging erst am 20.7.2021 beim Bundesfinanzhof ein. Auf den Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, die Monatsfrist sei versäumt, beantragten die Kläger beim Bundesfinanzhof, festzustellen, dass die Revision zulässig ist. Die Zustellungsurkunde sei unrichtig. Denn die Zusteller hätten während Covid-19-Pandemie die persönliche Übergabe in den Kanzleiräumen in keinem Fall versucht.

Der Senat hat daraufhin Beweis erhoben durch Vernehmung des Postzustellers (Z). Dieser hat erklärt, im fraglichen Zeitraum habe es die (mündliche) Anweisung gegeben, aufgrund der Covid-19-Pandemie förmliche Zustellungen kontaktlos vorzunehmen. Die Zusteller hätten die Sendungen ohne Kundenkontakt und ohne Klingeln sogleich in den Briefkasten einlegen und dies durch Datum und Namenszeichen beurkunden sollen.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Revision zulässig ist. Die Einlegungsfrist ist gewahrt, da die Ersatzzustellung auch während der Covid-19-Pandemie den Versuch der Übergabe des Schriftstücks voraussetzt.

Eine Zustellungsurkunde begründet wie eine öffentliche Urkunde den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Allerdings ist der Gegenbeweis (Beweis der Unrichtigkeit der in der Urkunde bezeugten Tatsachen) zulässig. Dieser Gegenbeweis ist im Streitfall aufgrund der Zeugenaussage erbracht. Denn nach der Aussage des Z wurde dieser von seinem Amtsleiter mündlich angewiesen, wegen der Covid-19-Pandemie Zustellungen kontaktlos vorzunehmen und insbesondere auf ein Betätigen der Klingel vor dem Einlegen der Sendung in den Briefkasten zu verzichten. So habe er es auch in dem vorliegenden Fall gehandhabt. Demgegenüber kommt der schriftlichen Auskunft der Deutschen Post AG kein hoher Beweiswert zu. Denn das Nichtbestehen von Anweisungen zu Übergabeversuchen zu Zeiten der Covid-19-Pandemie schließt nicht aus, dass der für Z zuständige Vorgesetzte für seinen Arbeitsbereich mündlich eine hiervon abweichende individuelle Anweisung erteilt hat.

Eine Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten, bei der nicht zuvor der Versuch einer persönlichen Übergabe des Schriftstücks vorgenommen wird, ist unwirksam. Das gilt auch dann, wenn der Zusteller den Übergabeversuch (wahrheitswidrig) förmlich beurkundet. Der volle Beweis der öffentlichen Urkunde wird durch den Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Urkunde bezeugten Tatsachen beseitigt. Unerheblich ist auch, ob am 19.6.2021 in der Kanzlei tatsächlich eine Person anwesend war, die das Schriftstück hätte entgegennehmen können. Entscheidend ist nicht, ob eine persönliche Übergabe objektiv möglich gewesen wäre, sondern dass der Zusteller einen Sachverhalt (vorheriger Übergabeversuch) beurkundet hat, der nicht dem tatsächlichen Geschehensablauf entspricht.

Der Gesetzgeber hat zwar Erleichterungen in zahlreichen anderen Rechtsbereichen geschaffen. Zu §§ 178, 180 ZPO fehlt jedoch eine entsprechende Ausnahmeregelung.

Verstößt eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gegen zwingende Zustellungsvorschriften, tritt eine Heilung erst in dem Zeitpunkt ein, in dem der Empfänger das Schriftstück tatsächlich in die Hand bekommt. Dies war hier mit der Leerung des Briefkastens am Morgen des 21.6.2021 (Montag) der Fall. Die dadurch ausgelöste 1-monatige Frist für die Einlegung der Revision endete somit am 21.7.2021. Mit dem Eingang der Revisionsschrift beim Bundesfinanzhof am 20.7.2021 ist diese Frist daher gewahrt worden.